In ihrer Blogparade stellt Nicole Isermann die Frage: Geht unsere schöne Sprache den Bach runter? Nein, ich sehe keine Sprachverhunzung, war mein erster Gedanke. Vielleicht an mancher Stelle, mein zweiter. Welche Ausdrücke gehen mir so richtig auf die Nerven – das war Nicoles weitere Nachfrage. Spontane Antwort: Keine. Unsere Sprache sei schön? Eine Unterhaltung in meinem zauberhaften Herbsturlaub mit einem Portugiesen, der derzeit Deutsch lernt, ergab als Adjektiv „schwierig“ statt „schön“.
Blogparade Sprachverfall – warum ich trotz Verneinung der These mitmache
Zunächst wollte ich bei der Blogparade nicht mitmachen, da ich mich nicht angesprochen fühlte von der These des Sprachverfalls meiner Muttersprache.
Sprache lebt. Sprache entwickelt sich. Sprache ist auch immer in der mündlichen Rede Ausdruck eines Individuums. Sprache verwenden wir, wenn wir aufmerksam oder erschöpft sind – dementsprechend sind unsere gewählten Worte mal besser, mal schlechter. Soll deshalb unsere Sprache den Bach runtergehen? Nein. Ausdrücke, die mir auf die Nerven gehen? In Zeiten des Sich-Schnellen-Aufregens und der Stapelkrisen übe ich mich in Mäßigung, was mir als lebhafter Person nicht unbedingt leichtfällt.
Tagtäglich arbeite ich mit Sprache. Ich schreibe Pressemitteilungen, Einladungen, Konzepte, Blogartikel, Newsletter – für meine Kunden und für mein Geschäft. Kundinnen und Kunden bitten mich um die Überarbeitung ihrer Texte. Ich schule Menschen, sich in ihren Gebrauchstexten klarer, verständlicher und präziser auszudrücken.
Für mich ist es völlig normal, mit Floskeln, 08-15-Ausdrücken, Fachjargon, Anglizismen, Abkürzungen oder Fehlern umzugehen. Genauso genieße ich es, meine Kundschaft aus dem Irrgarten ihrer Schachtelsätze herauszuführen. Aufreger sind das für mich nicht. Ich gebe Tipps und Handwerkzeug weiter; freue mich, wenn diese Einzug halten in die Sprachwelt der anderen. Sprache ist dynamisch – und ist es schon immer gewesen. Sind wir doch mal ehrlich: Ich möchte definitiv nicht die Sprachwelt von vor 100 oder 300 Jahren verwenden! Daher meinerseits ein Hoch auf die Sprachanpassung über die Zeit!
Seit Nicoles Aufruf sind ca. vier Wochen vergangen. Und in dieser Zeit trug ich die These des Sprachverfalls unbewusst mit mir herum.
Was soll ich sagen? Es gibt tatsächlich zwei Sätze, die mir auf die Nerven gehen und bei denen ich innerlich wahlweise Wutanfälle bekomme oder resigniert den Kopf schüttle. Zwei Gründe, um dann doch an Nicoles Blogparade teilzunehmen 😉.
Nervsprech 1: „Das ist doch ganz einfach“
Szene zwischen zwei Menschen:
Person 1, leicht bis mittel genervt: „Ich verstehe nicht, warum das nicht funktioniert?“
Person 1 werkelt mit zunehmender Verzweiflung: „Echt jetzt? Ich mache das genauso wie in der Anleitung. Grrr!!!“
Person 1 wendet sich zu Person 2: „Ich komme nicht mit XYZ weiter. Kannst Du mir bitte helfen?“
Person 2: „Das ist doch ganz einfach!“
Person 1: 🚀💢😡💣🤬
Dieses „Das ist doch ganz einfach“ ist überflüssig. Sooo überflüssig. Warum ich darauf reagiere? Jedes Mal, wenn das mir gegenüber geäußert wird, fühle ich mich doof; mittlerweile steigere ich mich da direkt rein – und mein Gehirn stellt direkt auf geschlossener Roll-Laden bei Erklärungen um. Ja natürlich, die meisten Hindernisse oder Probleme haben andere schon überwunden und können es ohne große Anstrengung ausführen. Nur ich nicht – weil es das erste Mal ist oder weil mir bei bestimmten Dingen ein leichter Zugang fehlt oder ich zu kompliziert darüber denke. Warum auch immer!
Ich frage nicht nach dem Wie, wenn ich nicht vorher schon versucht habe eine Lösung zu finden. Klar, mal kürzer, mal länger. Doch immer mit zunehmender Ungeduld. Und dann kommt ein: „Das ist doch ganz einfach!“
Wenn dieser Satz einer anderen Person gegenüber geäußert wird, bin ich ebenfalls genervt. Und bewundere Menschen, die dabei nicht so aus der Haut fahren wie ich. Hat dieser Satz mit Sprachverfall zu tun? Nein, sicherlich nicht! Es ist mein ganz persönlicher Sprachaufreger.
Ein „Komm, ich zeige es dir“ oder ein „Lass uns gemeinsam eine Lösung suchen“ – das wäre meine Wunschantwort.
Nervsprech 2: „Das macht Sinn“
Szene zwischen zwei Menschen:
Person 1: „Jeder von uns beiden macht unabhängig voneinander eine Recherche zum Thema. In zwei Stunden treffen wir uns wieder und wir vergleichen unsere Ergebnisse. Einverstanden?“
Person 2: „Ja, das macht Sinn!“
Ich weiß. „Sinn machen“ ist umgangssprachlich vollkommen in Ordnung. Selbst wenn Sie diesen Satz beim Duden-Mentor eingeben, wirft der Duden-Mentor aus: „Es wurden keine Fehler gefunden.“
Darüber bin ich fassungslos. Schließlich können Dinge keinen Sinn machen ! Dinge ergeben einen Sinn; so wie im oben genannten Beispiel das Vorgehen einen Sinn ergibt oder halt „sinnvoll ist“.
Höchstwahrscheinlich haben wir das englische „to make sense“ 1:1 ins Deutsche übernommen. Ist das sinnvoll? Manche sagen, es ergibt Sinn 😉. Und in 10-20 Jahren wird das Sinn-Machen auch in der Schriftsprache völlig normal werden, nicht nur umgangssprachlich.
Mein Fazit zum Sprachverfall
Unsere Sprache geht nicht den Bach runter, denke ich nach wie vor.
Meine beiden persönlichen Aufreger werde ich ruhiger angehen. „Das geht doch ganz einfach“ werde ich zukünftig als Aufmunterung verstehen – frei nach dem Motto „Du schaffst das“.
Und im Sinne von „Sprache verändert sich“ werde ich das „Sinn machen“ geflissentlich überhören/-lesen und bewusst in meiner Sprache die Dinge weiterhin einen Sinn ergeben lassen – bis sich unsere Sprache wieder mal angepasst hat. Denn: Sie befindet sich im permanenten Wandel; übrigens: wie alle anderen Sprachen auch 😊
Herzlichen Gruß aus Limburg
Ihre Manuela Seubert
PS: Abschließend eine Leseempfehlung, die ich erst nach dem Schreiben dieses Beitrags gefunden habe: Wandel statt Verfall – So verändert sich die deutsche Sprache. Laden Sie sich das Manuskript zur Sendung herunter, in dem der Trierer Sprachwissenschaftler Dr. Werner Schäfer sehr anschaulich und gut verständlich erklärt, „dass das Deutsche stark und lebendig sei und keine Anzeichen des Verfalls zeige“.
Ich sehe es wie du: Sprache lebt und entwickelt sich. Daher glaube ich auch nicht, dass die deutsche Sprache „den Bach runter geht“.
„Einfach“ ist auch ein Wort, das mich oft nervt. „XY einfach gemacht.“ „Einfach 6-stellig in 3 Wochen“. Alles „darf“ einfach gehen. 🙂
Ich fühle meinen Blutdruck steigen …
LG – Uli
Hallo Uli,
ich bin untröstlich: Dein Kommentar wurde – warum auch immer – direkt in den Papierkorb geschoben. Und ich habe ihn erst heute entdeckt 🙈.
Spannend finde ich: Nicht nur Kleidungsstücke, sondern auch Wörter sind Moden unterworfen: Dein „einfach“ gehört derzeit dazu, vor ein paar Jahren waren alle Produkte plötzlich „magnetisch“ oder „magisch“ #seufz.
Letztlich liegt – wie so häufig – die Schönheit und Passgenauigkeit der Worte im Auge des Erstellenden und v. a. der Lesenden.
LG aus Limburg
Manuela
Hallo Manuela,
wir beide haben uns im Rahmen von Nicoles Blogparade Gedanken gemacht zum Thema Nerv-Sprech und ganz unterschiedliche Ansätze gefunden. Das zeigt, wie vielseitig wir Sprache-Nutzenden aus unserer eigenen Wahrnehmung heraus (ver-)urteilen, empfinden und unser Vokabular anwenden.
Ich mag den Austausch, das „fremde“ Anstupsen sehr, daher danke ich für deinen Artikel und werde „das ist doch einfach“ (ich bin übrigens ebenfalls Person 1! in deinem Beispiel!) und den sich ergebenenden Sinn deutlich bewußter verwenden in Zukunft!
Viele Grüße, Gabi
Hallo Gabi,
danke für Deinen Kommentar. Sprache ist so vielseitig wie ihre Nutzenden; sie ermöglicht uns das Kennenlernen unserer Gegenüber. Solange wir diese Wahrnehmung von einer Wertung unterscheiden, erleben wir die Vielfalt von Menschen und Sprache. Die Blogparaden-Beiträge zeigen auf wunderbare Weise Möglichkeiten auf, die eigene schriftliche und mündliche Sprache bewusst zu gestalten und zu hinterfragen. Wie Du schreibst – sehr „schöne 😉, will sagen: anregende, bedenkenswerte“ Anstupser!
Abendlichen Gruß, Manuela
Liebe Manuela,
DANKE! Ich sehe es ganz ähnlich wie Du. Sprache ist ein lebendiges Gebilde und muss sich verändern. Sie darf reifen, vergehen, neu sprießen, entstehen.
Liebe Christine,
danke für Deinen Kommentar. Du sprichst mit dem „Sie darf … vergehen, …“ einen Aspekt an, der im Rahmen von Nicoles Blogparade noch gar nicht betrachtet wurde. Im Grunde ermöglicht uns das Vergehen ein Loslassen von Wörtern, die heute aus der Zeit gefallen wirken: nämlich, blümerant, nichtsdestotrotz, Luftikus, „Wir verbleiben mit hochachtungsvollen Grüßen“, u. ä.
Herzlichen Gruß
Manuela