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Kommunikator, Chefberater und Wahrheit

“Wie berate ich als Kommunikator meinen Chef richtig?
Sprich: Wie viel Wahrheit verträgt ein Angestelltenverhältnis?”

 

Bitte nicht diese Frage!

Als ich diese Frage eines Newsletter-Abonnenten für mein #10MinBlog las, schluckte ich. Diese Frage werde ich zurückgeben, war mein erster Impuls.

Schließlich war ich nie auf der Position des Chef-Kommunikators, Pressesprechers und damit kontinuierlich Berater des Vorstandes. Wie soll ich mich in solche Situationen einfühlen?
Außerdem bin ich seit fast 8 Jahren selbstständig. Das Verhältnis zwischen selbstständigem Berater und Kunde ist ein anderes. In dieser Zeit als Solo-Unternehmerin hat sich zudem so viel verändert: neue Formen der Zusammenarbeit, immer mehr Arbeit, immer schnellere Entscheidungen, immer höherer Druck, immer mehr Öffentlichkeiten/Kanäle als nur die Medien/Journalisten, immer mehr Shareholder Value. Haben sich die Abhängigkeiten in einem mittelständischen oder Unternehmen mit Konzernstruktur zum Positiven geändert oder gar noch verschärft?

Mein Newsletter-Abonnent bat mich, nachdem ich meine Bedenken über eine kompetente Antwort geäußert hatte, zumindest meine Traumvorstellung zu beschreiben.

 

Ein Traum von einem Chef für einen Kommunikator

Damit ein Kommunikationsfachmann ein guter Berater sein kann, stelle ich mir – in meinen kühnsten Träumen – diesen Traum von einem Chef vor:

  • Der Chef ist eine gut ausgebildete, Haltung beweisende, in sich ruhende und fürsorgliche Führungskraft.
  • Zudem sagt er die Wahrheit und verträgt diese auch. Klüngeln liegt ihm fern.
  • Dieser Chef kennt den Unterschied zwischen den Fachdisziplinen Public Relations, Marketing und Vertrieb.
  • Diese Disziplinen werden von ihm nicht gegeneinander ausgespielt.
  • Er schätzt den Kommunikator aufgrund seiner Antennen für die Bedürfnisse von externen und internen Stakeholdern.
  • Dieses Vorstandsmitglied versteht, dass manche strategische Handlungen in der PR nicht quantifizierbar sind.
  • Ratschläge des Chefkommunikators werden nicht einfach mit fadenscheinigen Argumenten vom Tisch gewischt.
  • Der Vorstand hat im besten Fall eine Persönlichkeit mit Weitblick – ein philanthropischer Unternehmenslenker, der an das große Ganze über Unternehmenskennzahlen und Shareholder Value hinaus denkt.
  • Dieser Chef zwingt seinen Chef-Kommunikator nicht, Unwahrheiten zu veröffentlichen.
  • Damit der Kommunikator gut beraten kann, ist der Chef erreichbar – zeitlich und örtlich sind sie sich nah.
  • Dieser Traum von einem Chef achtet zudem darauf, dass sein Kommunikator nicht ausbrennt.

 

Ein Traum von einem Kommunikator für einen Chef

Für unser Dream-Team braucht es auch einen Traum von einem Kommunikator:

  • Als Berater zeigt der Kommunikator Haltung – beruflich, privat und gesellschaftlich.
  • Der Kommunikator sagt die Wahrheit und verträgt sie.
  • Der Kommunikator ist ein gut ausgebildeter, erfahrener, in sich ruhender Berater.
  • Stellvertretend für seinen Chef beschreitet er neue Wege in der Kommunikation, probiert sie aus und agiert somit als Role Model für seinen Chef.
  • Sein Chef kann sich auf die Loyalität, die Verschwiegenheit und Professionalität seines Kommunikators verlassen.
  • Unangenehme Sachverhalte, auftretende Probleme und ungelöste Konfliktfälle spricht er offen und direkt an.
  • Er äußert seine Vorschläge nach fundierter Recherche zum Sachverhalt, entwickelt zwei bis drei Lösungsvorschläge, wägt Für und Wider ab sowie spricht eine klare Empfehlung aus.
  • In seinem Team befinden sich Menschen mit Fähigkeiten, die er selbst nicht hat; er fühlt sich nicht davon bedroht. Dieser Kommunikator lässt sich selbst gern beraten.
  • Seine Lösungsvorschläge erarbeitet der Kommunikator mit den Spezialisten in seinem Team.
  • Er ist entscheidungsstark, lernfähig, vorwärtsgerichtet, neugierig – und gesteht gleichzeitig seine Fehleinschätzungen ein, korrigiert diese schnell.

 

Grad der akzeptablen Wahrheit im Angestelltenverhältnis

In einer Traumwelt können dieser Traum von einem Chef und dieser Traum von einem Kommunikator traumhaft zusammenarbeiten.

In einer Traumwelt ist Wahrheit – oder vielmehr: die Akzeptanz von unangenehmen Wahrheiten und ein ethisch korrektes Umgehen damit – kein Problem zwischen Vorstand/Chef und Kommunikator. Im Traum.

In der Realität haben wir es mit unvollkommenen, nicht objektiv handelnden und persönlich betroffenen Menschen zu tun, die zumeist beide in monetären Abhängigkeiten stecken. Der Konflikt ist aufgrund der Systemeinstellungen also vorprogrammiert – New Work, auf-Augenhöhe-Prinzip und werthaltigen Unternehmens-Selbstbildern zum Trotz.

Im Angestelltenverhältnis und mit der Verantwortung, die ein Kommunikator in seiner Beraterfunktion trägt, ist die eigene Haltung ein wichtiges Kriterium im Konfliktfall.
Sicherlich kann der Kommunikator nicht erwarten, dass der Chef immer seiner Empfehlung folgt – dafür ist er schließlich Chef und hat die finale Verantwortung.

Die eigene Haltung kommt zum Tragen, wenn das Verhalten des Unternehmens und des Vorstandes dem beruflichen Kodex und den eigenen ethischen Werten regelmäßig und permanent entgegensteht. Selbst nach mehreren Versuchen kann vom Kommunikator eine Veränderung nicht herbeigeführt werden.

Dann hat der beratende Kommunikator nur noch zwei Möglichkeiten:
‘Live with it’ or ‘Leave it’!

PS. Dies ist Beitrag 23 im #10minBlog-Projekt, der mehr Zeit benötigt hat als vorgesehen. Daher habe ich mir fürs kommende Wochenende freigegeben :-).

PPS (7.9.2018). Die #10minBlog-Challenge ist erkenntnisreich zu Ende gegangen.

Grafik: © Manuela Seubert

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