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Genderneutrale Sprache in meinem Blog

Gendern oder nicht gendern? Nach Jahren, in denen ich selbst das Binnen-I nicht angewendet habe, habe ich mich in letzter Zeit immer häufiger gefragt: Wie stehst Du eigentlich zur geschlechtsneutralen Sprache?

Gender-Impulse bringen mich zum Nachdenken

Vier Ereignisse im ersten Halbjahr 2019 führten dazu, dass ich mich in letzter Zeit mit geschlechtsneutraler Sprache beschäftigt habe:

  1. Seit Januar 2019 gibt es die Möglichkeit, im Geburtenregister das dritte Geschlecht/divers eintragen zu lassen.
  2. Immer mehr Stellenanzeigen erscheinen mit dem Zusatz (m/w/d).
  3. Sascha Lobos Vortrag auf der re-publica zum Realitätsschock zur Geschlechtervielfalt (Video: Min.Sek 20:58-23:50)
  4. Vortrag von Annika Schach Ende Juni beim #zukufo über die Erfahrungen der Stadt Hannover bei der Einführung der geschlechtergerechten Verwaltungssprache.

Werte: Vielfalt im Blog ausdrücken

In meiner dreiwöchige Auszeit in Kanada ließ mich der Gedanke an das Gendern nicht mehr los. Das Motto der Stadt Hannover “Vielfalt ist unsere Stärke” ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Warum?

Vielfalt mag ich in vielen Formen – u. a. in meinen beruflichen Projekten und privaten Interessen. In meinen Blogtexten setze ich bislang die Geschlechtervielfalt nicht um. Ist es daher für mich nicht an der Zeit, in meinem Publikationsmedium, meinem Blog, ein Zeichen für mehr Vielfalt, mehr Respekt und Toleranz zu setzen?

Als Vielschreiberin und Texterin hatte ich mich selbst gegen das Binnen-I entschieden. Ich konnte die Gegenargumente gut verstehen, z. B.: schlechtere Lesbarkeit von Texten, ausufernde Zeichenanzahl, das große Binnen-I ist in einem Wort einfach falsch. Ich nutzte voller Überzeugung bislang das generische Maskulinum, also das männliche Substantiv oder Pronomen; schließlich würde das generische Maskulinum ja Frauen “mitmeinen”.

Im Laufe der Zeit

Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie ich in den 80-er Jahren meine Lehre zum Industriekaufmann begann. Am Ende der Lehrzeit 1988 bescheinigte mir das Prüfungszeugnis: Ich hatte die Abschlussprüfung zur IndustriekaufFRAU bestanden. Plötzlich die weibliche Form zu lesen – ich fand das schon sehr gewöhnungsbedürftig.

Jetzt – ein paar Jahrzehnte später – wissen wir u. a.:

  • Frauen sind der Gleichberechtigung ein paar Schritte näher gekommen, doch noch nicht am Ziel von z. B. gleicher Bezahlung oder gleichen Chancen auf Führungspositionen.
  • Geschlecht bedeutet nicht nur Mann und Frau, sondern sind die Enden eines breiten Spektrums an geschlechtlichen Identitäten.
  • Sprache beeinflusst unser Denken und Handeln. Wird vom Chirurg im generischen Maskulinum gesprochen, stellen wir uns eher einen Mann als eine Frau vor.

Im August habe ich mich dem Gendern auseinandergesetzt. Welche Formen des Genderns gibt es? Was spricht dafür, was spricht dagegen?
Die Heftigkeit der Gendern-Diskussion hat mich über den über die Stadt Hannover hinausgehenden Shitstorm (s. a. PR Report 4/2019, S. 8-9) erstaunt; so blieben auch Petitionen gegen den Gender-Unsinn nicht aus.

Sprache ist Wandel

Diese Ablehnung erinnerte mich an die hitzigen Gefechte, die über die deutsche Rechtschreibreform in den 1990-er Jahren geführt wurde. Auch ich wollte damals weiterhin u. a. “Tip” und “daß” schreiben. Stört es mich jetzt noch? Nein. Sprache wandelt sich und ich Gewohnheitstier mit ihr ;-).

Nach vielen Recherchen im Internet, stand die Entscheidung: Ich werde zukünftig in meinem Blog die geschlechtsneutrale Sprache … üben. “Üben”, weil: Mir wurde mit dem Lesen von vielen Artikel und Quellen klar, dass dies in meinen schriftlichen Texten eine neue Korrekturschleife von mir verlangt, um nach den vielen Jahre der Nutzung des generischen Maskulinums diesem auf die Schliche zu kommen.

So wie ich mich daran gewöhnt habe, von mir als Industriekauffrau, Beraterin oder Kommunikatorin zu sprechen, so habe ich mich an “dass” und “Tipp” gewöhnt. Also kann ich auch geschlechtsneutrale Sprache einsetzen!

Wie geht eigentlich dieses Gendern?

Je mehr ich mich in das Thema einarbeitete, desto verwirrter wurde ich zunächst. Herrje, gibt es viele Arten zu Gendern!

Und leider: Es existieren (derzeit) keine eindeutig festgesetzten Sprachregeln zur geschlechtsneutralen Sprache, an die ich mich halten kann. Doch nachdem ich mich durch den Dschungel der Möglichkeiten geschlagen habe, zeichnet sich für mich ein Weg ab.

In den Fällen, in den wir unsere Kunden (generisches Maskulinum) ansprechen oder über einen Beruf wie z. B. Schornsteinfeger (generisches Maskulinum) sprechen, haben wir mehrere Möglichkeiten zur Geschlechterneutralität:

  • [Vielfach schon gelesen – das Binnen-I oder der Schrägstrich: KundInnen oder Schornsteinfeger/in]
  • [Vielfach schon gehört – zwei Geschlechter nennen: Liebe Kunden und liebe Kundinnen]
  • [Kürzlich entdeckt – die Rollenverteilung, also mal die männliche und mal die weibliche Form im Wechsel: Die Auszubildende geht mit ihrem Ausbilder in die Küche, um der Köchin und ihrem Küchengehilfen für eine Woche zu assistieren.]

=> Diese drei erstgenannten Varianten haben u. a. den Nachteil, dass nur das männliche oder weibliche Geschlecht angesprochen wird. Somit scheiden sie für mich persönlich aus.

  • Welche Lücke hätten S’ denn gern? – Einsatz von Satzzeichen zwischen Wortstamm und Geschlechterendung: Kund*in, Schornsteinfeger_in, Kommunikator:in, Texter.in, Student in (Letzteres mit einem Leerzeichen)
  • Häufiger in Gebrauch – Studenten werden zu Studierenden (Partizipform, d. h. vom Verb abgeleitet) oder der Experte zur Fachkraft sowie die Lehrer zu Lehrpersonen.

Zu diesen Möglichkeiten hat Lucia Clara Rocktäschl einen lesenswerten Beitrag geschrieben, der gleichzeitig die Vor- und Nachteile sowie die dazu passende Zielgruppe nennt: Richtig gendern: 5 Arten für alle Fälle

  • Auch ein Adjektiv hilft, das meist in einer Formulierung nicht benötigte Geschlecht zu entfernen: Warum nicht die “Unterstützung der Kollegen” in eine “kollegiale Unterstützung” ändern?
  • Personen in der Mehrzahl statt in der Einzahl nennen: So kann aus “Jeder Urlauber benötigt einen gültigen Voucher” nun “Alle Urlauber benötigen gültige Voucher” werden.

(Aktualisierung)
Der Newsletter von fairlanguage lieferte im Juni 2021 einen eher außergewöhnlichen Tipp.

  • „Der wohl einfachste Weg, deinen Satz genderneutral zu formulieren ist: Das Wort einfach weglassen.“
    Hört sich erst einmal verrückt an. Beim genaueren Hinsehen auf die Erstentwürfe unserer Texte leuchtet mir das absolut ein. Denn: Manchmal handelt es sich bei der erneuten Nutzung des Wortes um eine Wiederholung des Substantives, das wir im vorangegangenen Satz bereits gegendert haben. Oder durch das Weglassen des Substantives wird unser Text sogar kürzer und knackiger – ohne den Inhalt zu schwächen. 

Hilfreiche Websites für geschlechtsneutrale Sprache

Wenn mir keine geschlechtsneutralen Begriffe einfallen, suche ich zukünftig auf folgenden Websites Hilfe:

Lesenswerte (Blog-)Artikel zur geschlechterneutralen Sprache

Wie werde ich zukünftig gendern?

Bis es eine verbindliche Regelung gibt, werde ich folgende Formen wählen:

  • Partizipform, Adjektiv- und Mehrzahlverwendung (s. o.)
  • Geschlechtsneutrales Substantiv (d. h. Mensch, Person, Leute)
  • Nutzung des Gendersternchens => (Aktualisierung vom 26.3.2020:) Ich wechsle auf den Gender-Doppelpunkt.
  • Umbau eines Satzes; Passivstrukturen will ich soweit wie möglich vermeiden, – zu viele machen einen Text leblos.
  • Verwendung von geschlechtsneutralen Pronomen: “wer”, “alle”, “niemand”, “jemand”, “jene”.
  • Weglassen des Substantives – wenn der Kontext es erlaubt.

Wird es Fälle geben, in denen ich nicht gendere?
Wahrscheinlich ja – wenn ich keine Lösung finde oder die Umformulierung nicht gut klingt.

Dabei ist mir bewusst, dass Gendern in der Schriftsprache eine Sache ist. Dies in der gesprochenen Sprache umzusetzen, wird eine weitere Umgewöhnung darstellen.
Da meine Schriftsprache mein Denken und damit meine Aussprache prägt, erwarte ich: Auch in Gesprächen werde ich wohl bewusster mit geschlechtsneutralen Begriffen umgehen. Aber eins nach dem anderen!

Fazit: Locker gendern

Entspannt, spielerisch und mit Neugier werde ich ab heute im Blog mit dem Gendern beginnen. Vielfalt ist für mich ein wichtiger Wert. Sie ist mir in meinem Leben, in meinem Umfeld, in der Gesellschaft wichtig. Und dafür kann ich hier im Blog mit genderneutraler Sprache ein kleines Zeichen setzen.

Wird es das Gendern von Anfang an klappen?
Wahrscheinlich nicht. Zu eingefahren sind die alten Pfade des generischen Maskulinums bei mir.

Wie lange läuft mein Experiment?
Wahrscheinlich beständig – genauso beständig wie sich Sprache im Wandel befindet.

Herzlichen Gruß, Ihre Manuela Seubert 

Zeichnung: (c) Manuela Seubert

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